26. April 2018
Rainer Juriatti
Und da war er wieder: der 26. April. Am Morgen eilte ich in mein Atelier. Nach 10 Stunden kehrte ich nach Hause zurück, holte sein Foto vom Schrank, platzierte es auf dem Ofen. Genau so, wie es im Buch zu lesen ist. Dann holte ich eine Kerze, so macht man das. Und dann platzierte ich das frisch ausgelieferte Buch daneben. Ganz komisch war das.
In irgendeiner Weise ist er jetzt zur Welt gekommen. In irgendeiner Weise. Inzwischen kennen ihn viele Menschen. Pablo, unser Sohn, der am 26. April 1995 "zur Welt starb". Die anderen vier kennen nur wenige. Aber auch für sie steht die Kerze. Und dennoch, gestern, als ich sein Bild auf den Ofen stellte, da war auch ein anderer Tag. Unsere Tochter Chiara sorgt sich, da sie um einen Platz an einer Uni in Belgien ringt. Wir haben über Alternativen gesprochen, das ist wichtig. Dass man Alternativen hat. Sie möchte von ganzem Herzen Holländisch lernen, belegt lange schon Kurse an der Uni. Jetzt will sie nach Holland oder Belgien gehen, inzwischen hat man ihr in Antwerpen einen Studienplatz genehmigt. Nun liegt es an der Uni dort, ob man sie nimmt. Also sorgt sie sich.
Gestern war auch ein anderer Tag. Unser Sohn Tonio hatte seine Diplomprüfung. Und natürlich rückte das Datum mit viel Anspannung stetig näher in den vergangenen Monaten. Tonio hat eine grandiose Diplomarbeit verfasst, ich habe sie gelesen. Da gehen Mönche in den Osten, zu den Tataren. Lateinische Dokumente hat er zusammengeführt und all solche Sachen. Als ich all das las, wähnte ich mich in Romane verführt. Gänsehaut. Kein Wunder, dass die Uni seine Arbeit in Buchform gießen wird. Er hat die Prüfung bestanden und rief mich an, als meine Frau und ich vor einem Bankier saßen, der sich um unsere Schulden aus dem Hausbau kümmert. Unser Sohn ist jetzt Magister. Wir sind sehr stolz und auch zufrieden mit dem Schuldenberg.
Gestern war auch ein anderer Tag. Meinen Laptop habe ich um 22 Uhr zugeklappt. Ein Wiener Kunde ist sich uneinig und liefert zum dritten Mal Änderungen, die Belastung also hoch. Aber irgendwer muss ja unsere Schulden bezahlen. Gegen Mitternacht haben wir die Kerze gelöscht. Heute werde ich das Bild wieder auf den Schrank stellen.
Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text