Antrittslesung im PEN Club Liechtenstein
von Widmar Puhl, Autor (Bild und Text)
Juriatti gelingt es in "Die Abwesenheit des Glücks" vom ersten Satz an, einen ungeheueren Sog zu entfalten, der keinen mehr loslässt. Da stimmte jeder Satz, da war kein Wort zu viel oder zu wenig.
Am Sonntag, dem 29. Oktober stand im Liechtensteiner Schlösslekeller die Zeit still. Eine Stunde lang hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können, als der Vorarlberger Rainer Juriatti beim PEN-Club seine Antrittslesung hielt. Er ist hier als "der Neue" seit einem Jahr dabei und stellte zwar kurz seine wichtigsten Bücher vor, sozusagen als Kurzporträt seiner literarischen Arbeit. Aber dann las er, wie er sagte, zum ersten Mal in seinem durchaus erfolgreichen Autorenleben aus einem noch unveröffentlichten Manuskript. Ob der Titel am Ende nun "Pablos Zeit - Briefe an den verstorbenen Sohn" lauten wird oder "Die Abwesenheit des Glücks" oder doch ganz anders, wird sich zeigen, wenn sein Buch erscheint. Zu hören war jedenfalls eine großartige Erzählung darüber, wie es den Eltern eines totgeborenen Kindes ergeht.
Juriatti wählte nach über 20 Jahren, in denen er immer wieder angefangen hatte, die Biographie seines toten Sohnes zu erzählen und immer wieder seine Versuche vernichtet hatte, schießlich die Form eines Briefromans. Das Thema "Sternenkinder" ist emotional enorm aufgeladen, und gerade deshalb, so Juriatti, sei die Gefahr extrem groß, entweder in geschwätziges Beschreiben, larmoyantes Selbstmitleid oder andere Formen depressiver "Betroffenheitslyrik" zu verfallen. Von allem gibt er leider mehr als genug. Hier aber war ein literarisches Kunstwerk zu hören, bei dem einfach immer der Ton stimmte. Der Autor erzählt dabei nicht einfach chronologisch von einem Schicksalsschlag. Die Form des Briefes macht es in diesem Fall möglich, die Balance zwischen Emotionen und Reflexionen zu finden, aus denen am Ende erst eine Geschichte wird. Nach 22 Jahren erst reichte offenbar die Distanz zu dem Drama aus, das erzählt wird. Das zeigt die Sprache.
Da stimmte jeder Satz, da war kein Wort zu viel oder zu wenig. Der Klang war immer der Situation angemessen: poetisch, zärtlich, traurig, wütend, medizinisch distanztiert oder geradezu therapeutisch beschreibend. Da war die große Liebe eines Vaters nicht einen einzigen Wimpernschlag lang peinlich. Ein Höhepunkt war eine an den alttestamentarischen Hiob erinnernde Tirade der Gottesbeschimpfung, zu der kein ungläubiger Mensch je fähig wäre. Auch Hiob klagt Gott sein Leid, aber er klagt ihn auch an dafür, dass er ein solches Un-und Übermaß an Vernichtung, Zerstörung und Schmerz bei Unschuldigen zulässt. Und doch ist dies kein lästernder, kein blasphemischer Text, sondern mündet in eine Hoffnung, die umso ehrlicher und glaubwürdiger ist, als sie keine Verletzung großer Gefühle ausspart. Nichts wird da unter den Teppich gekehrt, aber auch nichts breit getreten. Es mag ein Kunstgriff sein, aber es ist ein guter, wenn der Autor in diesem Fall sein Ringen um den treffenden Ausdruck, das jeweils passende Wort, den richtigen Tonfall thematisiert und zu einem wichtigen Teil der Geschichte macht.
Auch wenn dem einen oder anderen Zuhörer das Thema zunächst fremd vorgekommen sein mag, gelang es Juriatti doch vom ersten Satz an, einen ungeheueren Sog zu entfalten, der keinen mehr loslässt. Diese Erzählung weckt spontan Interesse und hielt die Hörer bei der Stange, wie es hoffentlich bald auch Leser in den Bann schlagen wird. Autobiographisch inspirierte, aber große literarische Prosa: Eine Erzählung von enormer sprachlicher Wucht und Feinfühligkeit ist Juriatti hier gelungen, ein wunderbares, ein rundum großartiges Buch entsteht da. Und der dramaturgisch penibel austarierte, professionelle Vortrag des Autors tut sicher das seinige dazu, um das Publikum zu fesseln. Mehr davon! Lang anhaltender Beifall zeigte, dass dieser Text "funktioniert".
Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen