11. November 2019 - 1 Kommentar.

Ein Satz, der mir plötzlich auffällt


Manchmal werde ich beschämt
Rainer Juriatti

Manchmal fühle ich mich so, als widerfahre mir gerade etwas, das ich gar nicht verdient habe. Aber was heißt eigentlich „verdient“? Verdienen kann man in diesem Fall ja gar nichts. Es geschieht einfach. Und am Ende (auch dieses Textes) fällt mir ein Satz auf.

Der Grund dieser zwei, drei verwirrenden Gedankengänge ist ein wunderbar trauriger und zugleich unfassbar lieber Brief, der mich am frühen Montag Morgen erreichte.

„Lieber Rainer“, schreibt da eine Frau ganz vertraut, „ich habe gerade dein Buch ‚Die Abwesenheit des Glücks‘ gelesen und hatte das Bedürfnis, mich mit dir in Verbindung zu setzen. Ich hoffe die du–Form ist in Ordnung.

Was soll ich sagen, ich habe mich erschrocken, mich in vielen deiner Gedanken und Aussagen erkannt zu haben. Vielleicht  haben aber auch einfach nur alle Sternenkinder–Eltern diese Denkweise oder Gedankengänge.

Am 28.9.19 musste ich meine Tochter am ersten Tag der 25. Schwangerschaftswoche tot zur Welt bringen. Mir hat es den Boden unter den Füßen weg gerissen, ein Gefühl der Ohnmacht, der vollkommenen Verzweiflung und unendlicher Schmerz.

Ich hab das Gefühl, dass niemand auch nur ansatzweise nachempfinden kann, was dieser schreckliche Verlust in mir ausgelöst hat und dass er mich mein ganzes  weiteres Leben begleiten wird.

Zeitweise wollte ich glauben, dass es besser wird , man es verarbeiten kann oder vielleicht  sogar teils vergessen - schließlich wird einem das vom  Umfeld so eingetrichtert.

Nun habe ich dein Buch gelesen und mir wurde noch klarer, was mir eigentlich eh schon  seit Beginn der Diagnose ,dass ihr Herz nicht mehr schlägt klar gewesen ist. Niemals wird es besser werden, Tag für Tag wird einen dieser furchtbare Schicksalsschlag begleiten.

Und Tag für Tag ärgere ich mich mehr über dumme, nicht überlegte Aussagen meiner Mitmenschen.

Durch deine Worte ist mir noch  bewusster geworden, was mich die nächsten Jahre bzw. mein Leben  lang "erwarten" wird und ich bin dir sehr dankbar, dass du dieses Buch geschrieben hast.

Es war mir jetzt einfach ein großes Anliegen, dir dies mitzuteilen und für mich ist es in gewisser Weise tröstlich zu wissen, dass andere diesen Weg auch gegangen sind und noch immer gehen und sich aber auch bestätigt, dass mein Leben von nun an anders sein wird.

Es grüßt dich und deine Frau ganz herzlich, (Name der Frau)“

Erinnern Sie sich an den Eingangssatz zu diesem kleinen Artikel für diesen wunderbaren Brief? Ich schrieb: „Manchmal fühle ich mich so, als widerfahre mir gerade etwas, das ich gar nicht verdient habe.“ – Ich korrigiere, weil es mir bereits auffiel, als ich den Satz notierte: Manchmal fühlen wir alle uns so, als widerfahre uns gerade etwas, das wir gar nicht verdient haben. – Ja, so muss es heißen. Es widerfährt uns und zunächst und zuerst unseren Kindern.

Und das, was uns und unseren Kindern widerfährt, bleibt das Schrecklichste. Für alle Zeiten bleibt es das.

Und immer noch fehlt der Außenwelt das Verständnis.

Deshalb vielleicht sind meine Frau und ich unterwegs und lesen und reden und lesen und reden. Weil es geschieht. Sowohl das Unglück als auch das fehlende Verständnis.

Ich danke Ihnen, liebe (Name) von Herzen, Ihnen, die sich die Mühe machte, uns zu schreiben. Ich danke Ihnen und bin bei Ihnen. Auch von ganzem Herzen.

Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text

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