Kommunismus statt Katholizismus
von Rainer Juriatti
Gott liebt dich nicht mehr, belegt der Generalvikar. Noch läuten die Glocken in Graz, dennoch sind wir seit gestern, Sonntag (Tag des Herrn), 26. September, mehrheitlich kommunistisch (Tag der Frau Elke Kahr) geworden. Die katholische Welt ohne mich ist ja eh nicht mehr lebenswert. Schlussvorhang eines Dramas.
Ich bin ja froh, dass ich jetzt in einem Unikum leben darf: der einzigen europäischen Großstadt, die kommunistisch geführt wird. Das Dunkelrot verdrängt mit Sicherheit einiges an katholischem Filz. Jedenfalls geht die Stadt symbolisch auf Distanz mit all den leeren Versprechungen, die sonntäglich an Altären gerne ausgesprochen werden. Vielleicht wird sogar das Glockengeläut, das willige Schäfchen zur wöchentlichen Moralpredigt ruft, bald per Stadtparlamentsentscheid untersagt.
Jetzt, wo ich aus der katholischen Kirche ausgetreten bin, macht die ja eh gar keinen Sinn mehr. Dabei habe ich mich ohne Schamesröte 20 Jahre lang fürstlich bezahlen lassen. Es stimmt, ich habe auch Wein getschechert, während die katholischen Schäfchen Wasser schlabberten. „Schäm dich!“ rufe ich mir dafür ja jeden Tag selber zu (ohne natürlich zu bereuen, weshalb es unbeichtbar wird). Anfang September, da bin ich also ausgetreten, womit die katholische Interessensgemeinschaft ohne ihren Texter wort- und somit inhaltslos zurückgelassen wurde.
Als ich austrat, erwartete ich jenen Brief, den ich einst selbst mitverfasst hatte. Leider kam da keiner. Dafür sandte mir meine Pfarre zwei Mal das selbe Serienschreiben zu. Und nun erreichte mich ein salbungsvoller Brief der linken Hand des angebeteten Diözesanherrschers. 24 Tage hat er gebraucht, um sich mit seinen beamteten Stimmen Gottes zu beraten. Der Generalvikar teilt mir mit, er wünsche mir, dass „Sie trotz der (…) nicht wertschätzenden Behandlung in der ‚Amtskirche‘ noch darauf vertrauen können, dass Gott Sie gern hat und mit seiner Liebe begleiten möchte“. Herrlich.
Am Tag, an dem ich meine Frau „gern hab“, kann sie mich „gern haben“ – denn dann verlasse ich sie. Als Ausgetretenen liebt mich deren Gott jedenfalls nicht mehr, so der Generalvikar in seinem Brief, er hat mich nur noch gern. Habe ich tatsächlich Gott beleidigt, da ich ausgetreten bin? Ober beleidige ich Gott, weil ich keinen Kirchenbeitrag mehr bezahle?
Mit Gott auf Distanz, so muss ich laut Generalvikar nun also leben. Und seit gestern tut dies sogar die ganze Stadt, in der ich lebe. Passt also schicksalhaft herrlich zusammen. Der Schlussvorhang auf alles Bestehende scheint damit gefallen zu sein.
Aber immerhin darf das System der beamteten Stimmen Gottes heute an den Arbeitsplatz zurückkehren, um bis Freitag die Zeit in Stuhlkreisrunden, vormittäglichen Geburtstagsbesäufnissen, kirchenbeitragsbezahlten Mittagstischen und Nachmittagskaffeepausen, wenig ertragreichen Powerpointpräsentationen und Stadtparkspaziergängen zum Zwecke der Mitarbeitergespräche tot zu schlagen – und damit weiterhin Kirchenbeiträge zu verschleudern. Gottes Beamtenreich ist langmütig. Es wird sogar den städtischen Kommunismus überwinden.
Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in Text