Transformiertes Dasein
von Rainer Juriatti
Luftig. Dennoch intim, fast heimelig in punktuell gesetztes Licht getaucht. So wirkt die große Halle, die wir über Betonstufen betreten. Noch nie haben wir ein Interview gegeben inmitten einer Kunstausstellung. Die Werke an den Wänden stammen von einer Frau, die eine Sprache für das Dasein sucht. Wir auch, wie oft schon.
Dem „Schweigen über nur unzulänglich Aussagbares“ werde hier Form und Sprache gegeben, heißt es in den Beschreibungen über die derzeit laufende Ausstellung von Birgit Sauer in der Burgenländischen Landesgalerie. Keinen besseren Ort hätte sich Viktória Kery-Erdélyi aussuchen können, um Vera und mich für „Die Burgenländerin“ zu befragen. Hier sucht eine Frau nach Ausdrucksmitteln ihrer Weiblichkeit, hier deutet eine 50-Jährige ihren Lebensweg.
Gemeinsam verschieben wir eines der Möbelstücke der Künstlerin. Sie selbst sagt, diese seien gedacht als Einladung zur Meditation und des Innehaltens. Und so folgen wir, schattengleich von einer sensiblen Fotografin begleitet, dem Aufruf der Künstlerin und beginnen erneut von ganz vorne. Danach nämlich fragt Viktória Kery-Erdélyi. Wie denn alles begonnen habe. Verwendet die Künstlerin in ihren Installationen Kindheitsbilder, so verwenden wir nun die eingangs erwähnten „unzulänglichen Aussagen“, um vom Beginn all der Leiden, Schmerzen, Einsamkeiten und Verletzungen zu sprechen. So, wie all die zu fotografierenden, verstorbene Kinder unsere letzten Tage begleiteten, so begleiten uns die eigenen verstorbenen Kinder unser gemeinsames Leben lang. Sie sind es, wird uns durch die einfühlsamen Fragen der Redakteurin bewusst, die uns Lebensmotor, Motivation und nicht zuletzt bedeutsamer Grund sind, uns immer wieder den Mühen des mangelhaften, öffentlichen Sprechens auszusetzen. Dem Unsagbaren sind keine Worte je gewachsen.
Dennoch fällt es inmitten der Kunst von Birgit Sauer dieses Mal leicht, innezuhalten an den prägend-dunklen Stationen unseres Lebens. Nicht zuletzt wird über die Künstlerin gesagt, ihr Bestreben liege darin, biografische Gewebeschichten freizulegen und in radikaler Lautlosigkeit zu neuen Kontexten zu verweben. „Transformiertes Dasein“, denke ich also sofort, während Vera von unserem Sohn Pablo erzählt. Alles wird mit neuen Bedeutungen belegt, auch jetzt gerade. Jetzt, während Vera in Erinnerungen aufgeht. „Transformiertes Dasein“. Unser Sohn lebt ganz neu, mit jedem Mal, da Vera seinen Namen in den Mund nimmt. Unser Sohn lebt ganz neu, wenn Viktória Kery-Erdélyi bald über ihn schreiben wird. Tatsächlich, sie hätte keinen besseren Ort für ihr Interview wählen können.
stilleben. Birgit Sauer.
Landesgalerie Burgenland, Franz Schubert Platz 6, 7000 Eisenstadt
Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text