Die werten Herren. Ein Textauszug.
Rainer Juriatti
Ich melde mich. Mit einem „Zwischenbuch“. Es stand nie auf meiner „Löffelliste“: jener Liste, die aufzählt, was noch zu schreiben ist, bevor ich abtrete. Dennoch ist es geschehen, ist passiert, dieses Buch. Es musste sein, als zwei Kandidaten zur Wahl standen, unser Staatsoberhaupt zu werden.
„Die werten Herren“ ist ein Essay mit Theatermonolog geworden. Leserinnen und Leser erfahren, welche Gedankengänge dazu führten, ein Bühnenstück zu schreiben, obwohl ich dem Drama längst abgeschworen hatte. Hier der Prolog aus dem Theatermonolog:
Vorrede vor dem Vorhang
Das Saallicht wird leicht gedämpft. Als Stille eintritt, öffnet sich der Vorhang rund einen Meter. Ein Mann, der dicht hinter dem Vorhang stand, tritt in ein Spotlight, lächelnd, hoch erhobenen Hauptes. Er trägt ein braunes Sakko, ein weißes Hemd, eine schwarze Krawatte, schwarze Hosen, Lackschuhe. Seine akkurat geschnittenen Haare sind streng gekämmt, seine Hände am Rücken verschränkt. Er steht ein, zwei Sekunden, dann macht er einen Schritt nach vorne und der Vorhang schließt sich.
Er geht auf und ab. Betrachtet uns. Genießt den Augenblick. Dann tritt er an ein schwarzes Rednerpult, das auf dem linken Bühnenrand auf ihn wartet. Einen kurzen Moment studiert er die Papiere darauf, dann wendet er sich mit einem Lächeln an uns.
(Ganzer Absatz: jovial) Vor vielen Jahren habe ich als junger Spund, als (betont stolz) Knopf der Freiheitsbewegung, als Zukunftsknabe, im Geschichtsunterricht gelernt, dass das Gebilde, das man damals fälschlicherweise als Staat bezeichnete, im Grunde nur aus zwei Arten von Menschen bestand: der Wohnbevölkerung und – Ausländern. Damit macht man keinen Staat. Ja, da lachen Sie. Ich habe auch gelacht. Die Wohnbevölkerung, das sind wir. Die Ausländer, das sind die anderen. Aber da gibt es noch kometenhafte Erscheinungen: die Asylwerber, die temporär, scheint’s, Staatenlosen. Das sind Menschen, die die Ehre haben, keinem der heutigen Staaten angehören zu wollen. Weder jenem, aus dem sie kommen, noch jenem, in dem sie sich befinden. Lachen Sie nicht. (Zuckt eitel mit dem Kinn) Ich habe übrigens ein NLP-Seminar absolviert, ich kann seit Jahren sehr gut mit rhetorischen Verunsicherungsversuchen umgehen.
Er lacht und geht ein paar Schritte auf und ab.
Wo waren wir? Ja! Die Flüchtlinge wollten nicht hier sein, aber auch nicht dort. Dabei sah das System vor, dass sie einen Antrag stellen können. Neben einer großen Portion Geduld – so zwei bis fünf Jahre – war der Antrag nur an ein paar Bedingungen gebunden: beispielsweise daran, dass der in Aussicht genommene Kandidat wenn möglich kein Einbrecher oder Zuhälter sein soll, dass der Kandidat gegebenenfalls auch politisch unbedenklich, das heißt also, ein politischer Trottel sein soll und – dass er uns nicht zur Last fallen soll. (Lächelt breit) Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie sich noch wundern werden, was alles möglich ist, wenn ich einmal Präsident bin. (Schnell) Also haben wir das abgeschafft.
Er bleibt mit einem festen, hörbaren Schritt stehen, breitet die Arme aus.
Und? – Enttäuscht? – Habe ich mein Versprechen gehalten? – Heute ist das nicht mehr möglich, da hilft keine Geduld, da helfen weder zwei, weder fünf noch tausend Jahre. Weil uns die Geduld ausgegangen ist. Uns! Ja, was glauben Sie? Da kommt so ein dahergelaufener Radikalislamist aus dem tiefsten Dschibuti, stellt einen Asylantrag, wartet geduldig und während er wartet, vergewaltigt er die eine oder andere Frau unserer Wohnbevölkerung. Und was kommt heraus? Ein Kind, halb staatenlos. Und das sollen wir so en passant einfach einbürgern? Das sollen wir dulden? (Gelassen) Nein, das dulden wir nicht. Wir sind doch kein Automobilclub, bei dem man ein- und austritt, wie es einem beliebt. Und staatstragende Entscheidungen dann auch noch mitteilt, als handle es sich um einen Faschingsumzug. Wenn man einem Zulu-Neger schreibt: Lei lei, grüß Gott, Sie sind jetzt ein Österreicher. Ein einfacher Federwisch und aus jedem mongolischen Václav wird ein Südsteirer, ein Burgenländer, ein Tiroler, ein skiwedelnder Vorarlberger? Das, meine Lieben, bringe ich als Ihr geschätzter Präsident nicht übers Herz. Da implodiert mein Hirn und platzt mir der Kragen.
Er macht zwei, drei Schritte zurück zum Rednerpult, legt zwei Blätter zur Seite, ohne darauf zu achten, betrachtet uns und scheint den Augenblick erneut zu genießen.
Denn eines, liebe Freunde, habe ich als junger (betont stolz) Knopf der Freiheitsbewegung auch lernen dürfen im Biologieunterricht unserer ehrenwerten Partei: Jedes Tier paart sich gerne mit einem Genossen der gleichen Art. Nur außerordentliche Umstände vermögen dies zu ändern, in erster Linie der Zwang der Gefangenschaft, oder auch eine sonstige Unmöglichkeit der Paarung innerhalb der gleichen Art. Dann aber beginnt die Natur, sich mit allen Mitteln dagegenzustemmen, und ihr sichtbarster Protest, ihr hohes Fieber, besteht entweder in der Verweigerung der weiteren Zeugungsfähigkeit für die Bastarde, oder sie schränkt die Fruchtbarkeit der späteren Nachkommen ein. Wir wissen es: In den meisten Fällen raubt die gegen jede Natur sprechende Paarung die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit oder feindliche Angriffe. Es bleibt ein Naturgesetz: Der Stärkere herrscht und soll sich niemals mit dem Schwächeren verschmelzen und die eigene Größe opfern.
Er macht zwei, drei Schritte.
Diese unsere Ansichten haben uns schließlich zum erneuten Wahlerfolg geführt, liebe Freunde. Der Rest ist Geschichte. Sie alle kennen die dunklen Tage, in denen wir heute leben. Doch ich habe zu danken: Danke, dass Sie alle sich für den rechten Weg, den es zu beschreiten gilt, entschieden haben. Ja, ich weiß, es ist ein harter Weg. Wir aber haben versprochen, dass wir den Österreicherinnen und Österreichern helfen werden, das Heft des eigenen Schicksals in die Hand zu nehmen, jederzeit frei entscheiden zu können, was den eigenen Kindern vererbt werden soll.
Er bleibt zufrieden nickend stehen.
Der Weg ist ein harter, wir wissen es. Wir fühlen mit jedem, der heute leidet. Aber die Mehrheit steht hinter uns. Und es werden täglich mehr, schon rein statistisch, ich danke Ihnen. Das Unangenehme ist aus dem Weg zu räumen, ja, man hört es ungern, doch das Hirnverbrannte ist schwerlich zu verdauen, es geht auch uns so, auch wir leiden.
Wieder macht er ein paar Schritte.
Da wir aber wissen, was wir wollen, und wissen, was Sie – die aufrechten und fleißigen Österreicherinnen und Österreicher – wollen, und da unser Weg wie gesagt schon rein statistisch immer breitere Zustimmung erfährt, werden wir weiterhin als kräftige Akteure jener auftreten, denen der revolutionäre Krawall gutmenschlicher Brutstätten den lebensnotwendigen Atem raubt. Bis zu jenem Tag, der die längst überfällige politische Wende in Österreich endgültig absichert und der neuen Freiheit zum Durchbruch verhilft. Glauben Sie mir: Uns schmerzt die Hand mehr, die wir zum Schlag erhoben haben, als sie den Geschlagenen schmerzen kann. Doch anarchistische Krawalle haben zwischenzeitlich auch auf Teile Italiens und andere EU-Staaten übergegriffen. Vor einem solchen, zunehmend eskalierenden Hintergrund wird eine zielführende Neuordnung notwendiger denn je.
Er kehrt zurück an sein Rednerpult, blättert drei, vier Seiten um, wiederum, ohne darauf zu achten, steht dann am Bühnenrand und führt in Bauchhöhe seine Fingerspitzen zusammen.
Deshalb, liebe Freunde, heißt es auch heute, in diesen verwirrenden, in diesen pulverdurchtränkten Nebelnächten, rasch und entschlossen zu handeln und die nachhaltige politische Wende in unserer schönen Heimat weiter zu festigen und in ungeahnte höhere Dimensionen zu führen. Wir sind der Katheter, der den Eiter der Ahnenverachter und Rassenkreuzler aus unserem schönen Staatskörper abzufließen nötigt. Dies alles, damit wir uns morgen nicht vorwerfen müssen, aus Bequemlichkeit oder Feigheit eine Tyrannei zugelassen zu haben, die unsere Selbstbestimmungsfähigkeit Schritt für Schritt beschnitten hat.
Er kehrt zurück zur Mitte der Bühne, steht frontal zu uns, der Vorhang öffnet sich einen Spaltbreit.
Ein Wort noch zum Schluss: Vor einigen Tagen habe ich ein interessantes Buch einer älteren Dame gelesen, die zum Lebensglück empfiehlt, sich vor jeder Entscheidung die einfache Frage zu stellen, ob es uns danach wohl besser geht. (Er zeigt uns seine Zähne) Ja, meine lieben Freunde, es geht uns zunehmend besser.
Der Mann macht einen Schritt rückwärts, der Vorhang schließt sich. Von oben wird eine Leinwand heruntergelassen, das Saallicht geht aus.
"Die werten Herren" ist der zweite Essay, hier geht's zum ersten.
Die werten Herren
ISBN 978-3-99039-115-0
149 Seiten, gebunden
€ 15,– A/D, CHF 21,– UVP