Ich habe die Wahl
von Rainer Juriatti
12. September, abends. Die nächste TV-Konfrontation. Das nächste Duell. Die nächsten Vorwürfe. Die nächsten Versprechungen. Da kommt mir der Gedanke, dass ich die zwei regierenden Parteien und deren Widersacher unter die Lupe nehmen möchte. Also schreibe ich, während ich den zwei Duellanten zusehe, rasch eine E-Mail an ÖVP, Grüne, SPÖ, FPÖ und NEOS, um deren Servicekraft und Volksnähe durch einen einfachen Test abzuklären: Ich bitte (Zitat), „da ich eine Sehschwäche habe und nicht lange am Bildschirm sitzen kann“, um die Zusendung des Wahlprogramms per Post.
Hier das Testergebnis:
NEOS
Meine E-Mail an die NEOS ging – wie auch an alle anderen – am 12. September um 21.09 Uhr hinaus. Bereits um 21.59 Uhr erhielt ich eine Nachricht darauf: „Sehr geehrter Herr Juriatti, vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Wahlprogramm. Gerne senden wir Ihnen dieses postalisch zu. Schöne Grüße, Team NEOS.“
Da allerdings bis 20. September kein Paket bei mir ankam, erlaubte ich mir zu urgieren: „Liebes NEOS Team, anbei Ihre Mail an mich. Sie waren damals Vorreiter: nur 50 Minuten nach meinem Mail an Sie eine Antwort. Und das abends nach 21 Uhr. Hammer. Nur: Waren es leere Wahlversprechen? Programm nämlich ist keines gekommen und jetzt wird es langsam eng, um es auch noch zu lesen vor der Wahl. Gruß, Ihr potenzieller Wähler“.
Am Nachmittag des selben Tages erhielt ich eine E-Mail, in der sich die NEOS entschuldigten: „Sehr geehrter Herr Juriatti, das tut uns echt sehr leid zu lesen und ist auch ärgerlich, da wir wie versprochen umgehend Materialen an Sie geschickt haben. Ein Kollege bzw. eine Abgeordnete von NEOS Steiermark wird sich baldigst bei Ihnen melden und ev. persönlich bei Ihnen vorbeikommen. Schöne Grüße Team NEOS“. Am Abend dann rief mich Nationalratsabgeordnete FIONA FIEDLER an (die auch unserem Verein schon einmal eine großzügige Spende überwiesen hat) und fragte, wann sie vorbeikommen dürfe, um mir das Wahlprogramm zu bringen. Wir vereinbarten uns auf den nächsten Tag, den 21. September, an dem sie pünktlich wie die Uhr vor meiner Tür stand (siehe Foto anbei).
SPÖ
Auf die E-Mail vom 12. September an die SPÖ bekam ich am Morgen darauf Antwort, exakt um 8.58 Uhr: „Lieber Herr Juriatti, vielen Dank für das Interesse! Selbstverständlich schicken wir Ihnen gerne unser neues Wahlprogramm zu. Das Packerl ist schon hergerichtet und geht noch heute auf die Post! Wir möchten uns aus tiefstem Herzen für Ihr gesellschaftlich so notwendiges Engagement als Sternenkindaktivist/-fotograf bedanken und weiterhin viel Kraft wünschen! Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende, Thomas Huber, SPÖ Bundesgeschäftsstelle.“
Mich freute beim Lesen tatsächlich die respektvolle Ankerkennung als Sternenkindaktivist und -fotograf sowie die persönliche Signatur (hätte Herrn Huber gerne hier per Link verankert, aber leider ist keine Bio von ihm online zu finden). Am 17. September lag das Wahlprogramm im Postkasten und ich freute mich natürlich über diese Zuverlässigkeit.
GRÜNE
Die Grünen schrieben ebenso am Tag darauf, exakt am 13. September um 9.55 Uhr zurück: „Sehr geehrter Herr Juriatti, danke für Ihre Anfrage, Sie bekommen gerne ein Nationalratswahlprogramm zugeschickt. Freundliche Grüße vom Team des Dialogbüros“.
Am 17. September lag das Paket der Grünen gemeinsam mit dem der SPÖ in meinem Postkasten. Nach Öffnen des Pakets, das mit drei Euro frankiert war, fand ich einzig schade, dass ausgerechnet die Grünen in Plastik verpackte Gummibärchen als Wahlgeschenke verteilen (lagen bei). Bei einer Partei, die auf Umweltschutz setzt und den Slogan trägt "Wähle, als gäb's ein Morgen" wären doch Papierpackerl mit Samen idealer, nicht? ("Samen säen auf Morgen") Aber mir ist klar: Das ist Motzen auf hohem Niveau eines ehemaligen Werbemannes, weil immerhin haben sie mir das Programm problemlos zugestellt.
ÖVP
Da ich bis in die frühen Abendstunden des 13. September keine Nachricht erhielt, schickte ich dem ÖVP-Club nochmals eine höfliche Anfrage. Auch auf diese folgte keine Reaktion. Am 17. September dann erhielt ich von Benjamin Koiser eine E-Mail: „Sehr geehrter Herr Juriatti, herzlichen Dank für Ihre Nachricht! Das Wahlprogramm von Bundeskanzler und Bundesparteiobmann Karl Nehammer steht als PDF auf der Homepage (LINK) zum Download und Ausdruck zur Verfügung. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir das Wahlprogramm aus diversen Gründen nicht postalisch versenden können. Gerne können Sie sich bei weiteren Anliegen an uns wenden! Mit freundlichen Grüßen, Das Team der Volkspartei“.
Ich war natürlich nicht damit einverstanden und antwortete: „Lieber Herr Koiser! (…) Was sind „diverse Gründe“? Bitte rasch um Zusendung eines Ausdrucks für mich, es ist ja nicht mehr lange bis zur Wahl. Gruss, Rainer Juriatti“
Daraufhin erhielt ich eine weitere Mailnachricht: „Lieber Herr Juriatti, es ist uns aus logistischen und kostentechnischen Gründen leider nicht möglich, dass wir derartige Anfragen erfüllen können. Wie Sie sich sicher vorstellen können, haben wir gerade zum jetzigen Zeitpunkt - kurz vor der Wahl diverse Anfragen dieser Art. Aus diesem Grund haben wir auch für Alle das Wahlprogramm frei zugänglich auf unserer Homepage. Leider kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht weiterhelfen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis. Mit freundlichen Grüßen, Das Team der Volkspartei“.
Naja, natürlich ist es wohl das geringste, dass ein Wahlprogramm „frei zugänglich“ ist, dachte ich mir. Oder sollen wir vollkommen im Dunkeln tappen?
Ich gab mich allerdings auch weiter nicht zufrieden und antwortete diesem jungen, offenkundig unfassbar unerfahrenen Mann mit einer Mail, der ich das Foto der zwei inzwischen erfolgten Zusendungen beilegte: „Lieber Herr Koiser, ehrlich gesagt: ich verstehe Ihre Argumentation ganz und gar nicht. Und verzeihen Sie, dass ich das schreibe, aber andere Parteien – siehe Bild anbei – schaffen es auch, „logistisch“ und monetär. Ich hätte mich wirklich gerne ausführlich mit dem Programm auseinandergesetzt, um meine Wahl zu treffen. Nochmals inständig um Ihr Programm bittend, Gruß, Rainer Juriatti“.
Am Tag darauf erhielt ich von Herrn Koiser ein zwar recht „dünn“ argumentiertes, jedoch positives Schreiben: „Lieber Herr Juriatti, Ihr Wahlprogramm ist auf dem Weg! Leider waren unsere Mitarbeiter in der Poststelle, wie viele anderen Personen in Niederösterreich auch vom Hochwasser betroffen. Da wir nicht abschätzen konnten, wie lange diese nicht besetzt ist, konnten wir derartige Anfragen vorübergehend nicht positiv beantworten. Ich hoffe, es kommt noch rechtzeitig in Graz an! Mit freundlichen Grüßen, Benjamin Koiser“.
Am 19. September erhielt ich das mit mehr als 260 Seiten bei weitem dickste Wahlprogramm zugestellt, in sauberem Farbdruck, gebunden, foliert.
FPÖ
Die Freiheitlichen reagierten gleichsam der ÖVP nicht auf mein erstes Schreiben (das ich bei den Freiheitlichen allerdings in Form eines Internetformulars absenden musste, was ich am Abend darauf wiederholte und daraufhin eine automatische Zusendung per E-Mail erhielt: „Vielen Dank für Ihre Nachricht betreffend “Große Bitte” [Anliegen-009021]. Aus Datenschutzgründen können wir Ihr Anliegen erst bearbeiten, wenn Sie sich einverstanden erklären, dass wir Ihre Daten für den Zweck Ihres Anliegens speichern … (blablabla) … eine einfache Antwort auf diese Nachricht werten wir als diesbezügliches Einverständnis … (blablabla) … mit freundlichen Grüßen, Bürgerbüro Team Kickl. Ich klickte auf „antworten“ und schrieb: „EINVERSTANDEN!!!“
Am 16. September erhielt ich eine weitere kurze Mailnachricht: „Sehr geehrter Herr Juriatti, bedauerlicherweise haben wir aus Kostengründen keine ausgedruckte Version unseres Parteiprogrammes. Sie finden dieses nur online in kurzer oder langer Version. (LINK) Mit freundlichen Grüßen, Bürgerbüro Team Kickl.“ Ich antworte: „Liebes Team im Parlamentsclub der FPÖ! Ich habe in den letzten Tagen Anfragen an Sie gestellt, die ausschließlich mit automatisierten Mails beantwortet wurden. In Ihrer Signatur findet man einen Link zum Thema „Volkskanzler“. Sie glauben, mit automatisierten Mails sind Sie volksnah? Natürlich habe ich als Sternenkindaktivist an alle großen Clubs geschrieben. Das Ergebnis der Volksnähe werden Sie in den nächsten Tagen in einem Blogbeitrag lesen können. Gruß, Rainer Juriatti, Ehrenamtlicher (!) Sternenkindaktivist und -fotograf“.
Im Grunde wartete ich jeden Tag darauf, nochmals irgendeine Nachricht zu erhalten, doch leider tat sich nichts. So also verhält sich die Partei des Volkskanzlers, dachte ich. So also geschehe unser Wille, so also kommt "das Volk zuerst, dann der Kanzler" (Slogan). Aber natürlich gab ich nicht auf und schrieb am 20. September nochmals eine E-Mail: „Liebes FPÖ-Team, bezugnehmend auf Ihr Mail vom 16.9. sende ich Ihnen anbei zwei Fotos: die Zusendungen von SPÖ, ÖVP und den Grünen. Das – verzeihen Sie – ist doch Volksnähe, nicht? Und damit exakt das, was Sie über Ihre Plakate suggerieren. Ich möchte nochmals um die Zusendung des Wahlprogramms bitten, da ich am PC nicht lange sitzen und lesen kann und mich ehrlich und aufrichtig über alle Programme informieren möchte, um eine gute Entscheidung treffen zu können. Mit liebem Gruß aus Graz, Rainer Juriatti.“ Ich erhielt von der volksnahen Volkskanzler-Partei bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags keine Zusendung.
Conclusio
So weit das Testergebnis, so weit die faktischen Berichte dazu. Noch ist eine Woche Zeit, sich mit den Programmen auseinanderzusetzen. Machen Sie sich hinsichtlich Service, Bürgernähe und Freundlichkeit selbst ein Bild.
Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text