7. September 2024 - Keine Kommentare!

Im Land der Sternenkinder – Leseprobe

IM LAND DER STERNENKINDER - Leseprobe
von Rainer Juriatti

Wir dürfen andere werden – 3. Mai 2024 – Etappe 8

Herzlich ist der Empfang mitten im Wald. Eine Freundin hat Silvia, meine Laufbegleiterin auf der heutigen Etappe, mit dem Auto gebracht. Beide Frauen strahlen über ihr ganzes Gesicht. Erneut freue ich mich, nun ein Stück begleitet zu werden. Im Losstarten wird ähnlich wie vor einigen Tagen sofort klar, dass unser Puls im gleichen Takt schlägt. 

Silvia erzählt von ihren Kindern, auch von ihren Sternenkindern, dann von Freundinnen, für die sie am Ende der Etappe kleine Sternchen auf dem Wagen anbringen wird. Mehr und mehr erzählt sie von sich selbst, von ihrem – Zitat –  inneren Schweinehund, den sie besiegen musste, von ihrem ehemals eher trägen Leben, dann von ihren ersten sportlichen Schritten einen Berg hinauf und hinunter, sowie schließlich von ihrem Einstieg ins Laufen, das nach dem ersten Wettkampf, den sie bestritt, zum fixen Bestandteil in ihrem Alltag wurde. Stolz ist sie auf die persönlichen Hürden, die sie durch das Laufen überwunden hat. Nie ging es dabei um‘s Gewinnen, vielmehr stets um den Sieg über sich selbst. Silvia, das bemerke ich an ihrem Schritt, ist eine veritable Läuferin. Man möchte nicht denken, dass sie einst faul war, wie sie es ausdrückt.

Als wir uns trennen, wird der Gedanke des Tages sehr rasch klar. Silvia hat mir mit ihrer Geschichte gezeigt, dass sie sich neu erfunden hat. Jene Silvia, von der sie mir erzählte, die gibt es nicht mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese zurückkehrt, so schätze ich, liegt nahezu bei Null. Sie zeigt damit: Man kann sich – und manchmal muss man sich – neu erfinden. Oft fehlt dazu nur der Mut oder man hat Angst vor dem, was andere über einen sagen. 

Wer meine Biografie kennt, wird daraus deutlich ablesen können, dass ich mich sehr oft vollkommen neu erfunden habe. Ich hatte stets große Lust dazu und in der Rückschau kann ich behaupten, dass mich jede Neuausrichtung extrem bereichert hat. Verwandlung bedeutet Weiterentwicklung und man schärft dadurch den Blick auf die wichtigen Grundhaltungen, die einen zuinnerst ausmachen. Manchmal schlägt uns das Leben Kerben in die Biografie, die uns zwingen, uns neu zu erfinden, um nicht zu zerbrechen oder gänzlich zu scheitern. Bei meiner Frau und mir waren dies die fünf Sternenkinder. Sie zwangen uns, all unsere Lebens-umstände vollkommen neu zu denken und daraus den notwendigen Absprungmoment aus dem bislang gelebten Leben in ein neues zu nutzen. 

Von all dem Geschilderten sind Sternenkindeltern zutiefst betroffen. Ohne Ausnahme. Wer grund-sätzlich immer schon den Mut fand, sich neu zu erfinden, wird dadurch auch bei Schicksalsschlägen die Fähigkeit dazu leichter erlangen, er kann darauf zurückgreifen. Denn eines ist sicher: Stets wartet hinter jeder Veränderung ein neues, spannendes und auch wunderbares Leben. Eines, das unserer Veränderung mit Sicherheit gerecht wird.

Der Philosoph Thomas Nagel hat einst die rhetorische Frage gestellt: „Warum ist mein Blau nicht ihr Blau?“ Er hat recht. Mein Blau ist das Blau, das Silvia und ich teilen. Wir ticken anders, denn wir haben uns längst neu erfunden. Uns kann nichts mehr passieren.

Aus: Im Land der Sternenkinder - Geschichte eines Ultramarathons
2 Euro jedes verkauften Buches gehen an den Verein "Mein Sternenkind - Hilfe für Sternenkindeltern"

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Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text

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