8. September 2024 - Keine Kommentare!

Lassen Sie bitte Herbert Kickl in Ruhe

LASSEN SIE BITTE HERBERT KICKL IN RUHE
von Rainer Juriatti

Bedeutet, eine Haltung zu haben, keine Meinung mehr haben zu dürfen? Sie werden jetzt sagen: „Komische Frage, natürlich darf man eine Meinung haben.“ Wenn aber die Meinung der Haltung entgegensteht? Zum Beispiel, wenn man als politisch links stehender Mensch sagt: Lassen Sie bitte Herbert Kickl in Ruhe? Wie ist es dann?

Ich weiß, dass es sich für viele absurd anhören mag, da es meiner Schreibfeder entsprungen ist, aber ich möchte es dennoch deutlich notieren: Lassen Sie bitte Herbert Kickl in Ruhe. Ich setze kein Rufezeichen hinter meine Bitte, da ich diese in möglichst großer Gelassenheit aussprechen/hinschreiben möchte. Ihn in Ruhe zu lassen, sind wir nämlich der Demokratie geschuldet.

Wie mein Bild zu diesem Beitrag zeigt, meine ich mit meiner Bitte seine Wahlplakate. Man mag inhaltlich von Kickls Plakaten halten, was man will, sie sind jedoch nur Teil dessen, was unser demokratisches Land an Effekten nach sich zieht: Sie sind ein kleiner Teil der erlaubten Wahlwerbung einer in Österreich zugelassenen Partei. Sie stehen und hängen – objektiv und damit hoffentlich neutral betrachtet – gleichwertig neben allen anderen Plakaten in der Landschaft.

Jüngst fällt mir allerdings während meiner Radtouren auf, dass die werbetechnisch grandios gut gemachten Plakate als einzige zerrissen und bemalt werden. Die Plakate aller anderen Parteien bleiben in ihrer Austauschbarkeit und Langeweile unberührt. Welchen Rückschluss lässt das zu? Jenen, dass meine „Artgenossen“, die links und liberal denkenden Menschen, sich zu einem Grad der Aggression aufgeschwungen haben, der sich offenkundig in physischen Gewaltakten ausdrückt. Und gleichzeitig bleiben die Kickl-Wählenden unberührt von den Plakaten aller anderen Parteien.

Nun frage ich mich, was diese Aggression rechtfertigt. Nicht auslöst, sondern rechtfertigt. Auslöser ist sein Vokabular, Auslöser sind die Fahnenschwinger, Auslöser sind seine Bierzeltreden, Auslöser sind die Inhalte seiner Politik, Auslöser ist sein Ehrgeiz, Auslöser vielleicht sogar seine verbissene Sportlichkeit. Was weiß ich. Rechtfertigen diese Auslöser die Zerstörung der Plakate? Oder sind sie Ausdruck jener Primitivität, die wir den Wählenden Kickls unterstellen?

Ein Kommentator einer großen österreichischen Tageszeitung hat jüngst sinngemäß festgestellt, dass anstelle von Erkenntnissen inzwischen Haltungen das Verhalten prägen. Das allerdings schrecke keine potenziellen Wähler Kickls ab, sondern ermutige viele Menschen darin, den „Tabubruch“ zu begehen. (Naja, wer kennt das nicht aus seiner Jugend? Dort ein bisschen provokant, da ein bisschen revolutionär.)

Also nochmals: Ich bin in meiner durchaus unbeirrbaren „grünroten“ Grundhaltung der Meinung, dass man Kickl und seine Plakate in Ruhe lassen soll. Ich darf gegen Teile seines Vokabulars sein, ich darf gegen Teile seiner Inhalte sein, ich darf gegen die Tonalität seiner Büttenreden sein. Aber nicht gegen ihn, einen Politiker, der professionell dort grast, wo alle grasen: bei uns. Das, und nichts anderes, nennt man Demokratie, denke ich.

Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text

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