31. Dezember 2024 - Keine Kommentare!

Nüchtern betrachtet

Nüchtern betrachtet

von Rainer Juriatti

Ich kenne keinen vernünftigen Menschen, der noch immer so kurzsichtig ist, zum Jahreswechsel einen Vorsatz zu fassen, der sein Leben ändern soll. Mal ehrlich: Ist es nicht vernünftiger, während des ganzen Jahres große oder kleine Lebensform-Adaptionen vorzunehmen? Zum Beispiel, wenn man erkennt, dass man ein Spiegelsäufer ist? 

So nämlich erging es mir. Ich war Spiegeltrinker. Am frühen Morgen des 7. November 2016 fasste ich den Entschluss, mit dem Saufen aufzuhören. Ganz ohne Jahreswechsel, ganz ohne Raketen, Raclette und finalem Rausch. Es war ein Montag. Kein Wunder, dass ich zwei Jahre darauf, an irgendeinem Augusttag, auch sämtliche noch herumlungernde E-Zigaretten in den Müll warf. Einfach so, ganz ohne Vorsatz.

2976 Tage trocken

So markiert der kommende 24. Januar 2025 einen durchaus bemerkenswerten Tag. Jenen mit der Zahl 3000. Dreitausend Tage nüchtern. „Nüchtern betrachtet“ allerdings quält mich die Welt mit heute seit gezählten 2976 Tagen doppelt und dreifach und bis ins Unermessliche. Ich kann sie mir nicht mehr schönsaufen, erlebe alles mit wachen Sinnen, permanent. Das ist nicht lustig.

Allein das vergangene Jahr hätte es in sich, sofort wieder mit dem Saufen anzufangen und auch eine Schachtel mit den stärksten Todesraketen ohne Filter in meine Lungenflügel zu pfeifen: Verlogene Politik an allen Ecken und Enden – mit Politikern, die ihre Seele verkaufen würden, um im Amt zu bleiben; der Niedergang lebensrettender Klima-Entscheidungen – trotz sinnentleerter Klimakonferenzen; und morgen schon eine Teuerungsrate in Österreich, die unsere Schere von reich und arm noch weiter auseinandertreiben wird; die politischen Entwicklungen wie die Wahlen in den USA, Russland, auch Deutschland und Österreich, die den prozentualen Grad der Menschheitsdämlichkeit ausdrücken; Konzentrations- und Todeslager mit unfassbaren Foltergeräten wie Menschen-Pressen in Syrien; die allerorts mit roher Gewalt ausgetragenen, vollkommen sinnentleerten Kriege. 

Während der Rechtsruck Realität wird und den Frauen bei uns bald schon verboten wird, Kopftuch zu tragen, während in anderen Ländern bei Nichteinhaltung der Kopftuchpflicht die Steinigung droht, beschränken sich die Menschen bei uns, sich die Birne weich zu saufen. Oder eben die Welt schön. – Und Sie, werte Leserin, werter Leser, Sie bekommen es gerade schwarz auf weiß: Es ist unerträglich, die Welt nüchtern zu betrachten. Die Welt bleibt ein Hort von Idioten, der bestenfalls schlagartig ausgelöscht gehört.

Dreiviertel Lebenszeit liegt hinter mir

Ich habe in diesem Jahr meinen 60. Geburtstag hinter mich gebracht. Das heißt, es ist im besten Fall mit Sicherheit 75% meiner Lebenszeit verstrichen. Die letzten 25 verbringe ich damit, meine Wünsche und Träume zu leben, während ich die Welt für verloren erklären darf, da die Steirer, dann die Österreicher, dann die Europäer und der Rest der Welt schlichtweg zu blöd sind, um dankbar und demütig weltrettende Änderungen praktischer, sozialer, gesellschaftlicher wie auch philosophischer Natur umzusetzen.

Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text

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