Rezensionen aus Deutschland
Männermagazin aus Hamburg und ekz Bibliothekservice Reutlingen:
Erstaunlich. Die ersten Rezensionen erscheinen seit geraumer Zeit immer in Deutschland. Da gibt es dieses eine Männermagazin in Hamburg. Und natürlich den Bibliothekservice. Sie widmen sich rasch – auch – österreichischen Neuerscheinungen:
Männermagazin aus Hamburg, Frank Keil:
Sternenkindvater
Zu früh und nicht lebensfähig geborene Kinder ... selten geht es um die Gefühle und Gedanken der Väter, die zurückbleiben. Denn das Leben geht nicht einfach weiter.
Zwanzig Jahre lang hat der österreichische Schriftsteller Rainer Juriatti versucht, über sein Dasein als Sternenkindervater zu schreiben. Immer wieder hat er Notizen verfasst, hat in seinen Tagebüchern gelesen, hat sich hingesetzt und begonnen, einen längeren Text zu schreiben. Ganze Manuskripte sind hernach in den Schredder gewandert, dann war wieder Pause. Einmal wurde ihm der PC mit all den fertigen Seiten geraubt. Dann war wieder Pause.
Bis sich der Autor erneut hinsetzte und zu schreiben begann. Getragen von dem Wunsch, endlich in Worte fassen zu können, was ihn bewegt (und es wohl auch loszuwerden, ein gänzlich legitimer Wunsch); getragen zugleich von tiefer Skepsis, ob es in Worte zu fassen ist und ob es legitim ist und angemessen, sich so ganz zu entäußern.
Nun ist es getan. Ein knappes, schmales, intensives Buch liegt vor. Ein Brief an seinen Sohn, dem er und seine Frau dem Namen Pablo gaben. Ein Buch auch über diesen Brief und was ihm vorausging. Ein Buch auch, das eben sozusagen Rechenschaft ablegt über das, was sich der Autor zutraut, auch zumutet; was er wagt, woran er auch schon gescheitert ist und was er nun erneut riskiert.
Denn da ist dieses Bild. Ein Polaroid seines zu früh, weil in der 24sten Woche geborenen und nicht lebensfähigen Sohnes, das er damals gemacht hat, vor über 20 Jahren, in einem irgendwie wachen Moment, inmitten all des auch seelischen Durcheinanders. Das da steht, ganz alltäglich, wie in jedem Haushalt, wo es Kinder hat, Bilder von diesen Kindern stehen. Alleine, zu mehreren, mit und ohne die Eltern. Dass immer wieder betrachtet wird, damit Pablo nicht vergessen wird. Und er selbst, der Vater, auch nicht.
Juriattis Buch und sein Blick auf jenes Foto ist auch ein Akt der Gegenwehr. Gegen die anderen, das Außen, die Leute, wie sie schnell sagen, dass das Leben weitergeht und dass sie nach vorne schauen sollten und dass es vielleicht seinen Sinn habe, wenn sie keine Kinder haben, gegen den man sich nicht wehren sollte.
Und der Autor wird nun feststellen, dass er mit niemanden mehr befreundet ist, der das oder Ähnliches einst zu ihm sagte, mehr oder weniger deutlich. Dass da etwas Trennendes ist und bleibt.
Das Buch ist auch ein Buch über eine Ehe, die vieles ausgehalten hat und hält. Die Bestand hat, die gut ist. Viel haben sie unternommen, um Kinder zu bekommen. Hin- und hergerissen, ob die Chancen, die die Medizin verspricht, gute und ehrliche Möglichkeiten bieten. Fünf Sternenkinder haben der Autor und seine Frau über die Jahre gehabt. Zwei Kinder haben es ins Leben geschafft, mittlerweile groß geworden und ausgezogen, wie es sich gehört. Auch sie haben ihre möglichen Geschwisterkinder nicht vergessen.
Rainer Juriatti hat darüber ein ehrliches, ein entsprechend radikales Buch geschrieben. Er scheut sich nicht vor Pathos oder was man dafür halten könnte. Er lotet sich aus, sozusagen. Er meidet strikt den sachlichen, den über den Dingen stehenden Ton, der den Schmerz, die Enttäuschung, die Ratlosigkeit und die Verzweiflung auch versuchen könnte zu mildern. Vor Gefühlen hat er keine Angst. Und also auch diese nicht vor ihm.
Und nicht zuletzt erzählt das Buch auch vom Schreiben. Fragt, was es kann, ob es eine eigene Kraft hat und wenn, wie weit diese trägt. Sehr weit, in seinem Falle. Sehr, sehr weit.
ekz Bibliothekservice Reutlingen, Margret Becker:
Juriatti, Rainer:
Die Abwesenheit des Glücks : Erzählung / Rainer Juriatti. - Innsbruck : Limbus Verlag,
[2018]. - 156 Seiten ; 20 cm
ISBN 978-3-99039-127-3 fest geb. : EUR 18.00
Sternenkinder - dieses poetische, fast spirituelle Wort verbrämt das Leid über den Verlust eines ungeborenen Kindes und lindert gleichzeitig die Trauer. So braucht der österreichische Autor (ID-A 48/10, ID-B 45/12, ID-G 26/14, ID-A 45/15) 20 Jahre, um schreibend und erzählend im Brief an den Sohn Pablo, der nach längerer Schwangerschaft "zur Welt stirbt“, Trauer, Schmerz, Aufbegehren, Grenzerfahrungen, aber auch Liebe und Glücksmomente erfahrbar zu machen.
Der berührende Text, in Tagebuch- und Briefform mit wechselnden Zeitebenen, schafft durch den Kunstgriff eines Beobachters von außen, der die Gedanken und Träume der Eltern und von zwei lebenden und fünf Sternenkindern kommentiert, eine entlastende Distanz. Juriatti schreibt keinen Ratgeber, sondern eine hoch literarische Erzählung, um dem Sternenkind eine Identität zu geben, den eigenen Weg zu zeigen und das Thema zu enttabuisieren. Und das ist im hohen Maße beeindruckend gelungen. Der letzte Erfahrungsbericht zu Sternenkindern war "Fest im Herzen lebt ihr weiter" (ID-A 6/15).
Hier geht's zu den Workshops sowie Lese- und Aufführungsterminen aus "Die Abwesenheit des Glücks".
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Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text