Zeit
von Vera Juriatti
Ich bekomme sehr viele Zuschriften von Sternkindeltern, denen man Zeit gestohlen hat. Doch ein wenig Zeit ist oft alles, was Sternenkindeltern bleibt. Zeit allerdings ist tatsächlich alles, was sie brauchen.
Dennoch wird von Eltern sehr oft das Unmögliche abverlangt: Im Moment der pränatalen Diagnostik, wenn sie den Grad einer Behinderung begreifen und dadurch abwägen sollen, wie es weitergeht. Im Moment, in dem sie bei einer Routineuntersuchung hören, dass kein Herzschlag mehr zu vernehmen ist. Rasch sollen sie entscheiden. Und damit wird ihnen wertvolle Zeit des Abwägen geraubt.
Und ebenso wird Sternenkindeltern gerne aus Gründen der Routine und des genormten Ablaufes in Kliniken wertvolle Zeit geraubt. Jene kurze Zeit, die sie mit ihrem verstorbenen Kind verbringen dürfen. Diese Momente allerdings sind von unendlichem Wert, diese Momente nämlich sind kurz.
Unter der Voraussetzung, dass keine Gefahr für die Mutter besteht, sollte also vielmehr gelten, Eltern so viel Zeit wie nur möglich einzuräumen: Zeit, um abzuwägen, wie es weitergeht, Zeit, um sich von seinem Kind zu verabschieden, sei es noch im Mutterleib oder nach der stillen Geburt.
Zeit mit unserem Sternchen, das Kennenlernen und gleichzeitige Abschied nehmen, das trauern, weinen, auch das hadern, es soll Tage brauchen dürfen. In dieser Zeit kann in Ruhe entschieden werden, in welcher Form unser Kind bestattet werden soll, es muss nicht in den Akutmomenten festgelegt werden. Und ebenso darf der Wert von Fotos, dem ersten und letzten Bild des Babys, aber auch das erste und letzte Familienfoto, nicht unterschätzt werden.
Wir dürfen die uns zustehende Zeit einfordern. Jede Entscheidung spielt eine große Rolle bei der Trauerbewältigung. Mein Appell kann also nur lauten: Lasst euch Zeit, lasst euch von niemandem zu einer Entscheidung drängen. Hört auf euer Herz und lehnt alles ab, was sich nicht richtig anfühlt.
Zeit ist alles, was uns bleibt.
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